„& ja, ich liebe Sambia…“

 

(Die folgende Geschichte ist kein Tagesbericht. Vielmehr ist sie eine Sammlung von Kleinigkeiten oder Situationen, die mir hier sehr auffallen, verpackt in einen imaginären Tagesbericht.)

 

Morgens um kurz nach sechs reißt mich mein Wecker aus meinem Schlaf. Mein Bett ist wirklich sehr gemütlich, aber letztens ist mir eingefallen, dass es in westlichen Ländern so etwas wie Lattenroste gibt und seitdem, freue ich mich schon wieder etwas auf diesen Luxus zu Hause. Ich binde das Mückennetz nach oben, das mich und mein Bett jede Nacht wie ein Schleier umhüllt. Meine nackten Füße berühren den kalten Fließenboden und stehen inmitten eines Ameisenfriedhofs. Was gibt es Schöneres zum Aufwachen… seit über einer Woche versuche ich verzweifelt die Ameisenflut, die täglich aus einem Loch in den Fugen unter meinem Bett krabbelt, zu besiegen. 

Bis jetzt bin ich erfolglos und kann ich weiter jeden Morgen und Abend einen Haufen Ameisen zusammenkehren. Dafür habe ich gestern in meinem Vorratsschranken auch noch Termiten entdeckt, diebisch durch das Holz fressen. Das sind Momente für den Gedanken: „Ja, ich liebe Sambia…“ Noch etwas benommen schlurfe ich ins Bad. Ihr lacht jetzt vielleicht, aber wir haben gerade richtig gutes Klopapier mit vorgestanzten Blättern zum Abreißen. Das ist ein kleines Highlight.

 

Die Kultur respektierend gibt es einige Regeln, an die man sich hier in Sambia halten sollte. Damit meine ich zum Beispiel angemessene Kleidung, die zu jeder Zeit Knie und Schultern bedecken sollte. Zudem sollte man auf enge Kleidung verzichten. Ich stehe vor meinem Schrank, dessen Garderobe hier so anders aussieht als die in Deutschland und greife zu einem langen Rock, den ich hier im DAPP gekauft habe. (Erläuterung zum DAPP folgt später…) 

Mit Frühstück im Bauch schwingen wir uns aufs Fahrrad und radeln mit der Flut von Menschen, die der Stadt entgegenläuft, zum Office. Ich bin immer wieder froh über meine funktionierende Bremse am Fahrrad. Das ist hier keine Selbstverständlichkeit. Letztens ist jemand in mich hineingefahren, weil er nicht bremsen konnte. Vor einigen Tagen ist mir auch wieder in den Sinn gekommen, dass hier die Fußwege fehlen. Neben den Straßen ist zwar manchmal ein Sandstreifen, aber im Grunde laufen alle einfach am Straßenrand entlang. Vorbeifahrende Autos hupen immer wieder. Zu Anfang habe ich gedacht, dass sie uns anhupen. Das tun sie manchmal auch, aber vor allem signalisieren sie mit dem Hupen, dass sie noch Platz haben jemanden mitzunehmen, habe ich irgendwann erfahren. Daran merkt man wieder wie offen und hilfsbereit die Menschen zueinander sind, ob man sie kennt oder nicht. 

Nach dem Morgengebet wollen wir direkt nach Waya zur Schule fahren. Allerdings springt das Auto mal wieder nicht an. Zum Glück dürfen wir ein anderes Auto unseres Werkes nehmen. Wir starten also, müssen aber nach einigen Metern wieder umdrehen, weil wir viel zu wenig Reifendruck haben. Diese Autogeschichten sind hier auch „täglich Brot“, was verschiedene Gründe hat. Autos sind hier verhältnismäßig teuer und die Straßen bekanntlich sehr schlecht, was den Verschleiß der Fahrzeuge in die Höhe treibt. Da Life Trust komplett Spenden getragen ist, muss gut mit dem zur Verfügung stehenden Budget gehaushaltet werden. Auch wenn wir im Arbeitsalltag von Autos als Transportmittel abhängig sind, ist das nicht der Bereich, in den gerne investiert wird. Und wenn ihr einmal für euch überlegt, stimmt ihr mir sicher zu, dass es ganz menschlich ist, dass die Motivation höher ist, für die Kinder in Waya zu spenden als für ein neues Life Trust Auto. Wenn es um den Fuhrpark geht, ist es den Langzeitlern deshalb sehr wichtig, die günstigste Mitte zu finden zwischen vielen Reparaturen und doch lieber einer Investition in einen neuen Gebrauchtwagen. 

 

Irgendwie geht es dann doch los. Kurz nach acht Uhr stehen wir vor dem „Grand Mart“, ein Laden, in dem man alles von Nudeln bis zu Sofas bekommt, weil wir ein paar Stühle für die Schneiderei brauchen.

 

Obwohl die Öffnungszeiten eigentlich ab acht Uhr sind, sind die Türen noch geschlossen. Also fahren wir weiter, denn zehn Minuten nach der Zeit bedeutet nicht unbedingt, dass sie dann gleich aufmachen…es kann genauso gut auch noch eine halbe Stunde dauern. Jeden Morgen müssen wir die Kreuzung am Grand Mart über die Hauptstraße passieren. Das ist oft ein Abenteuer. Es funktioniert nur, mit einfach mal beherzt auf die Kreuzung rauffahren. Wir kommen bis zur Hälfte. Blockieren also nun die eine Fahrbahn, weil wir mitten auf der Kreuzung stehen und warten drauf, dass das Kuddelmuddel vor uns sich lichtet, damit wir auch den Rest der Kreuzung überqueren können. Am Anfang war das ein komisches Gefühl, mitten auf der Kreuzung zu stehen, weil das in Deutschland eher unüblich ist. Hier ist das oft der einzige Weg.

 

In der Schneiderei angekommen, stehe ich erstmal in Spinnweben. Das ist montags immer wieder eine schöne Begrüßung und ich lerne auch nicht draus, mich nach dem Wochenende vorsichtig in die Räumlichkeiten vorzuwagen. Ich finde es beeindruckend wie schnell die Spinnen hier über nur zwei Tage immer wieder unsere Werkstatt einnehmen. Erste Tätigkeit also: Spinnweben entfernen und danach Händewaschen. Die Seife ist schon auf den Händen, als mir in den Sinn kommt, dass ich aus meinen Fehlern lernen wollte. Ich drücke die Daumen, als ich den Wasserhahn aufdrehe und verdrehe innerlich die Augen über meine Lernunfähigkeit, denn es kommt noch kein Wasser aus dem Hahn. So habe ich da schon einige Male gestanden, mit Seife auf den Händen und keinem Wasser zum abspülen und es ist gar nicht so einfach Seife ohne Wasser wieder loszuwerden…

Die Pumpe für Wasser am Empowerment ist solarbetrieben und braucht morgens ein paar Stunden Sonne bis sie Wasser aus dem Hahn pumpt. Strom ist hier in Waya keine Selbstverständlichkeit. Deswegen sind wir sehr dankbar für unsere Solaranlagen auf dem Dach der Schneiderei, denn ohne Strom können wir nicht nähen. An der Schule dagegen müssen wir oft ganze Tage auf Strom verzichten. Das bedeutet, dass Aufgaben manchmal auf den nächsten Tag verschoben werden müssen, wie zum Beispiel Arbeitsmaterialien drucken. Da kann man sich stattdessen lieber zwischendurch mit den Kids vergnügen und ihnen ein neues Spiel beibringen.

 

Nach getaner Arbeit fahren wir auf dem Weg nach Hause an zwei Fahrradfahrern vorbei, die auf ihre Gepäckträger jeweils zwei lebendige Ziegen geschnallt haben. Ich dachte über die Zeit gewöhne ich mich etwas an den Anblick wie hier mit Tieren umgegangen wird, aber da habe ich falsch gedacht. Die Sambier sind nicht absichtlich bösartig, sie haben einfach eine andere Einstellung zu Tieren und deren Umgang als wir. So sehen sie Hunde zum Beispiel als gefährliche Tiere, denen man nicht zu nah kommen sollte und lachen jedes Mal etwas verwirrt, wenn sie erfahren, dass wir Deutsche uns Hunde sogar im Haus halten.

 

Am Office angekommen tauschen wir das Auto gegen unsere Fahrräder und ich starte eine kleine Shoppingtour. Erst halte ich an einem kleinen Stand an, um mir ein Tüte gekochte Erdnüsse zu kaufen. Bevor ich der Verkäuferin sage, wie viel ich möchte, frage ich erst: „Do you have change?“ („Hast du Wechselgeld“) Für uns ungewöhnlich, hier ganz normal, dass sie oft nur das Wechselgeld haben, was sie über den Tag eingenommen haben, wenn überhaupt. Ich bekomme eine große Tüte Nüsse für K5. Die Währung hier sind Kwacha.

 

 

Die Ein-Kwacha-Münze ist zurzeit etwas weniger als 5 Cent wert. Zwei Kwacha existieren bereits in Form eines Scheins, Darauf folgen K5, K10, K20, K50 und K100. Höhere Geldscheine gibt es nicht. Stellt euch mal vor, wie dick euer Portemonnaie wäre, wenn der höchste Schein, der exisitert, der 5€ Schein wäre. Dementsprechend dick ist der Batzen Geld, wenn man am Automaten die mögliche Höchstsumme von K4000 in 100-Scheinen für die nächsten Monate abhebt.

 

Danach fahre ich zu DAPP, heute kam die neue Lieferung an. DAPP ist ein guter Klamottenladen aus der Sicht der Sambier. Aus unserer westlichen Sicht ist es ein Secondhandshop, in dem wir die Kleidung aus unserer Welt finden, die hierher verschifft wird.

Das ist immer mal wieder sehr amüsant, wenn man zum Beispiel ein EDEKA-Mitarbeiter-Shirt entdeckt… Alle zwei Wochen kommt eine neue Lieferung und der Preis pro Stück beginnt bei K100. Über die zwei Wochen sinkt der Stückpreis bis auf K5 (25 Cent). Neben Chinaprodukten ist es quasi die einzige Möglichkeiten hier Klamotten zu kaufen. In der akuten Not, war es eine willkommene Hilfe, dass die westliche Welt angefangen hat, ihre Secondhand-Klamotten in ärmere Länder wie Sambia zu verschiffen. Auf längere Zeit gesehen hat diese gut gemeinte Hilfe mehr Schäden angerichtet, als man im ersten Moment denkt. Die nicht endende Flut an Klamotten, die hier ankam, hat die eigene lokale Bekleidungsindustrie immer weiter eingestellt, da sich der Vertrieb der Secondhandkleidung sehr viel mehr rentiert hat.

 

Ich habe heute gleich zwei Glücksfunde, was eher selten ist und fahre gut gelaunt weiter. Nach einem kurzen Stopp beim Supermarkt, ist es fast schon Zeit für Sport. Auf dem Weg dorthin muss ich über die Gleise rüber. Noch beim Supermarkt höre ich schon, dass sich der Zug nähert und ich fange an mich zu beeilen, denn man weiß nie genau, wie lang der Zug ist und einen aufhalten wird. Letztens habe ich es gerade noch so vorm Zug über die Gleise geschafft, aber diesmal ist es mir doch zu knapp. Also bleibe ich lieber stehen. Schranken gibt es keine, zwischen mir und dem klappernden Zug sind vielleicht etwas über zwei Meter. Das finde ich schon sehr nah, die Sambier dagegen stehen teilweise unmittelbar neben den Rädern, die über die Gleise rollen.  

 

Keine zehn Minuten später erreiche ich den Supermarktparkplatz, auf dem das Aerobic-Training stattfindet. Die Musik beschallt schon laut die ganze Umgebung. Ich treffe die anderen Mädels und wir gesellen uns zu der Gruppe dazu. Eine volle Stunde hüpfen wir mit fünfzehn Sambiern gemeinsam auf dem Parkplatz herum und sind danach fix und fertig. In Deutschland wäre das auf die Dauer kein Sport, an dem ich Spaß hätte, aber man ist ja an anderen Orten, um andere Dinge auszuprobieren. Außerdem macht die Atmosphäre in der Gruppe und die gegenseitige Motivation zum Durchhalten sehr viel Spaß.

 

Mittlerweile ist es dunkel und wir treten den Heimweg an. Wenn ich dunkel schreibe, meine ich dunkel. In Deutschland gehen die Straßenlaternen an, wenn es anfängt zu dämmern. Die gibt es hier nicht, was bedeutet, dass es je nach Mondgröße dunkel bis stockfinster wird. Auch heute haben wir mal wieder unser Licht vergessen, was bedeutet, dass die Fahrt abenteuerlich wird. 

Nach einigen Wochen wissen wir langsam wo die Schlaglöcher lauern, aber manchmal überraschen sie einen doch wieder eiskalt. Trotzdem kommen wir gut an. Ein guter Tag!

 

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