Wir nähern uns dem großen Tor von außen, der Wachmann läuft uns von innen entgegen, um das Tor aufzuziehen. Mit dem Auto rollen wir auf den
Kiesparkplatz und steigen aus. Noch ist es recht kühlt, man merkt langsam, dass die „Cold Season“ (hier „Winter“) anfängt. Sobald aber die Sonne zum Mittag hin höher steht, wird es wieder richtig
heiß werden. Die Tür der Schneiderei ist noch zu. Es passiert eher seltener, dass wir vor 9 Uhr da sind, also bevor die Schneiderinnen eintrudeln, denn es gibt oft auch am Office morgens noch
einiges zu tun. Die Schlüssel für die Außentür der Werkstatt hängen beim Wachmann. Er kommt mir schon mit den Schlüsseln und einem freundlichen Lächeln im Gesicht entgegen. Ich erwidere das
Lächeln, nehme den Schlüssel mit einem kleinen Knicks entgegen, was hier gang und gäbe ist, und begrüße ihn mit einem „Muli shaani“ (Bemba für „ Wie geht es dir?“ bzw. eine Form der
Begrüßung).
Durch die aufgeschlossene Tür betreten wir in den ersten Raum, wo heute mein erstes To-Do auf mich wartet - Nähmaschine zusammenschrauben. In den
letzten Wochen ist einiges in unserer Schneiderei passiert. Es gab sogar Neuzugänge und Neuanschaffungen. Anfang März haben wir in Lusaka drei Industriemaschinen für die Schneiderei erwerben
können! Pia war schon seit mehreren Monaten auf der Suche nach einer Möglichkeit hier in Sambia Industriemaschinen mit einem guten Preis-Leistungsverhältnis zu kaufen. Da es hier überwiegend nur
Imitationen aus China gibt, die den originalen Marken vom Aussehen natürlich nah kommen, aber eine deutlich schlechtere Qualität haben, war die Suche gar nicht so einfach.
Diese Maschinen jetzt endlich zu haben, ist vor allem aus drei Gründen sehr wertvoll für uns. Zum einen erhöhen sie die Qualität unserer Produkte, da sie beispielsweise die dicken Stoffe für die Arbeitsjacken viel besser nähen können. Zweitens sind sie als Industriemaschinen im Gegensatz zu Haushaltsmaschinen auf lange und dauerhafte Laufzeiten ausgelegt. So können wir auf lange Sicht gesehen nicht nur kaputte Maschinen sondern auch Maschinenverschleiß vermeiden. Als drittes und wie ich finde wichtigsten Punkt, können wir den Schneiderinnen mit dieser Art Maschine eine neue Kompetenz beibringen und ihr Wissen erweitern.
Ich mache mich daran die eine Maschine wieder aufzubauen. Mittlerweile weiß ich, wie es geht. Ich hatte sie vor einigen Tagen wieder auseinandergenommen und für den Transport nach Lusaka fertig gemacht, wo sie einmal am Ölschlauch repariert wurde. Viele Reparaturen versuchen wir hier selber zu machen, da sich der Transport nach Lusaka nur lohnt, wenn sowieso jemand fährt. Diese Woche hat es glücklicherweise gut gepasst.
Da es hier immer wieder mal etwas an Maschinen zu reparieren gibt und ich mich meistens damit auseinandersetzen darf, kann ich mir ein bisschen mehr Wissen über Nähmaschinen und ihren Aufbau aneignen. Allein schon sich mit dem ersten Aufbauen und Installieren einer Industriemaschine zu beschäftigen, hat meinen Horizont definitiv erweitert. Vor allem waren Pia und ich erst sehr verwirrt von der praktisch nicht existenten Anleitung und haben dann beschlossen, wie mit einem IKEA-Regal fortzufahren - nämlich ohne Anleitung. (Ich hab euch das Exemplar abfotografiert und kann nur noch sagen, nach dem Aufbauen hat sie tatsächlich Sinn ergeben, aber das ist ja nicht so Sinn der Sache...)
Während ich vor mich hin schraube, trudeln die Schneiderinnen ein. Unter ihnen sind auch ein paar noch recht neue Gesichter in der Schneiderei. In der Woche vor Ostern haben wir nämlich unseren ersten Ausbildungskurs gestartet. Mittlerweile sind es insgesamt sieben Schüler und Schülerinnen, die von Montag bis Donnerstag theoretischen und praktischen Schneiderunterricht bei uns bekommen. Drei davon sind sogar Teilnehmer des Jonathan Programms von Life Trust. (Für weitere Infos gerne auf den folgenden Link am Ende des Artikels klicken). Überwiegend ist Gertrude, unsere langjährige LifeTrust Mitarbeiterin, für die Ausbildung der Sieben zuständig. Ich darf zwischendrin einige Seminare halten und mit meinem Wissen aus der Ausbildung den Kurs ergänzen.
Die schulische Ausbildung kommt hier bei vielen jungen Menschen leider etwas kurz. Es gibt zwar eine staatlich angeordnete Schulpflicht, sodass nahezu jedes Kind in die Schule geht. Jedoch gibt es eigentlich nicht genug Schulplätze wie es Kinder gibt, was zu Klassengrößen von bis zu 70 Kindern führt, die mit Glück 4h Unterricht am Tag haben. Da ist es nicht überraschend, dass die Qualität der staatlichen Schulen zu Wünschen übrig lässt. Viele Unterrichtseinheiten werden zudem vorrangig auswendig gelernt, anstatt den Fokus auf das Verständnis für die Themen zu legen.
Deshalb haben wir uns in den ersten Tagen noch mal mit Grundlagen wie zum Beispiel mit richtigem Messen und Maßeinheiten umrechnen beschäftigt. Ich weiß noch wie Pia mich in einem meiner Gespräche noch von Deutschland aus, auf das Arbeiten hier versucht hat vorzubereiten. Besonders klar erinnere ich mich, wie sie sagte, ich müsse mir klar machen, dass es in Sambia zum Beispiel nicht selbstverständlich sei, mit 20 Jahren zu wissen, was ein Zentimeter ist. Ich weiß noch genau, dass ich wirklich versucht habe, mir das vorzustellen. Aus westlicher Sicht ist es nahezu unmöglich, sich solche Situationen bis ins Detail vorstellen zu können und das dürfen wir uns bis zu einem gewissen Punkt auch nicht übel nehmen. Unsere Kulturen liegen einfach sehr weit auseinander.
Tatsächlich habe ich dieses Seminar zum Thema Maßeinheiten mit der Frage „Was ist ein Zentimeter?“ begonnen und dann erlebt, worauf Pia mich einige Monate vorher vorbereitet hatte. Es war sehr bemerkenswert für mich zu beobachten wie ihr Verständnis für das Thema wächst.
Diese Woche haben wir uns dagegen schon mit Stoffkunde beschäftigt. Vier Tage lang haben wir uns angeguckt, wie aus Fasern Stoffe werden und was für verschiedene Arten es gibt. Zwischendrin war die trockene Theorie aufgelockert mit praktischen Aufgaben wie Garne selber kordeln oder sein eigenes Stoffstück weben.
Ich darf während dieser Kurstage auch unfassbar viel lernen. Zum einen, wie ich die Themen, die mich faszinieren, gut aufschlüsseln kann, um sie an Andere weiterzugeben. Zum anderen darf ich auch wieder einen Riesen Schwung über die Kultur lernen. Ich habe gelernt spontan und flexibel zu bleiben, denn viele Methoden, mit denen ich gelernt habe, kann ich hier nicht einfach adaptieren. Die Sambier lernen auf andere Art und Weise. Wenn ich sie erreichen möchte, muss ich ihre Art verstehen, mich danach richten und darf diese nur mit ein paar meiner Methoden ergänzen. Das ist herausfordernd, aber auch eine unglaubliche Bereicherung für mein Verständnis.
Alle guten Dinge sind drei Neuigkeiten… Dank der neuen Nähmaschinen haben wir neue Verarbeitungsmöglichkeiten, sodass in den letzten Wochen auch die Entwicklung einiger neuer Produkte stattgefunden hat. Diese haben unser Sortiment, mit dem wir jetzt an den ersten Märkten hier in Sambia teilnehmen, um einiges bereichert! Das funktioniert natürlich auch nicht ohne die Schneiderinnen, die fleißig dabei waren, die neuen Produkte nähen zu lernen. An Ostersamstag haben wir auf einem „Farmers Markt“ unsere bunten Schätze zum Verkauf angeboten. Wir haben sehr gute Resonanz bekommen und konnten einiges verkaufen.
Unser neuestes Produkt ist eine Picknickdecke, die nicht nur durch den bunten Chitenge ganz klar sambisch ist. Die Unterseite bilden aneinander genähte Mealiemeal Säcke (Maismehl Säcke für Nshima), was die Decke noch sambischer und gleichzeitig weniger dreckanfällig macht. Das Leder zum Zusammenbinden stammt aus einer Lederfabrik direkt hier in Kabwe. Es liegt uns am Herzen den lokalen Handel beim Kauf unserer Materialien weitestgehend zu unterstützen.
Letzte Woche, am 20.04. ist der letzte von drei Koffern voll Produkten aus unserer Schneiderei für die ECHT! nach Deutschland aufgebrochen. Die ECHT! ist die Gemeindekonferenz des Mühlheimer Verbandes, der deutschen Träger-Organisation von Life Trust. Das erste Mal sollen dort an diesem Tag unsere Produkte aus Sambia in Deutschland verkauft werden. In den Tagen vor der Ausreise unserer Produkte haben wir gemeinsam ordentlich Hand angelegt, um jedes einzelne Produkt mit Liebe gefertigt noch abflugbereit zu machen.
Die brandneuen Topflappen-Sets wurden zum Beispiel noch mit Lederdetails versehen. Wir sind sehr gespannt, wie unsere Schätze in Deutschland ankommen und was wir für Feedback bekommen. Denn es gibt langfristig gesehen einige Ideen, um unsere Produkte auch in Deutschland noch leichter zugänglich machen zu können.
Wenn du noch mehr Wissensdurst hast und über das erwähnte Jonathan-Projekt, das Kurse, wie den in der Life Trust Schneiderei, finanziert, lesen möchtest, findest du hier ganz viele Infos dazu:
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